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Der Löwe

Die Bäume flitzen an uns vorbei, wir sitzen alle im Jeep und fahren schneller als bei einem gewöhnlichen Game-Drive zur Shooting-Range. Ich höre Musik und versuche mich zu konzentrieren. Dieses Mal möchte ich alle Übungen für die botswanische Prüfung durchschiessen, damit ich im Anschluss die südafrikanische Prüfung auch probieren kann. Diese ist jedoch um einiges schwieriger, doch dazu komme ich später noch. Wir durchqueren das Gate der Consession und fahren ca. 30 Minuten weiter bis wir die Range erreichen. Dort angekommen, weiss schon jeder, was zu tun ist und die Zielscheiben, Gewehre und Sicherheitsvorkehrungen sind schnell aufgestellt resp. erledigt. Dieses Mal muss ich verschiedene Distanzen in einer gewissen Zeit treffen, einen Fehlschuss simulieren und dann am Ende den «Löwen» erschiessen. Doch alles von Anfang an.

Ich versuche meine Nervosität abzuschütteln und gehe auf und ab bis meinen Namen gerufen wird. Sobald ich mich Richtung Schiessstand aufmache, merke ich, wie sich meinen Gesichtsausdruck verändert. Die Jungs machen sich dann immer lustig, da ich dann unheimlich ernst sei und ein Pokerface auflege. Ich merke selber, wie ich in eine andere Welt eintauche und auch ein bisschen eine andere Isa werde. Dies ist für mich wichtig, denn so kann ich den Ernst der Lage erkennen und bevor ich mich für die weitere Ausbildung entschieden habe, hatte ich zuhause lange damit gehadert, ob ich überhaupt je ein Gewehr und damit eine Verantwortung gegenüber den Tieren und den Gästen in die Hand nehmen möchte. Wer A sagt, muss auch B sagen.

Julien geht nochmals mit mir die verschiedenen Abläufe durch und fragt mich, ob ich diese verstanden habe. «Ja», sage ich laut und deutlich, das Gewehr bereits in meiner linken Hand. Ich schliesse meine Augen, atme und blende die Welt um mich herum aus. Ich öffne die Augen, den Blick auf die Zielscheibe gerichtet und sage: «Ready». Nach dem «Go» von Julien führe ich wieder die Bewegungsabläufe durch, atme, ziele, schiesse, wiederhole und entlade das Gewehr. Ich schiesse mich durch die Übungen durch und merke, wie erleichtert ich bin. Nun habe ich alle stehenden Objekte «erlegt» und nur noch der bewegende Löwe wartet auf mich. Ich ziehe den Munitionsgurt ab und übergebe alles. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht verlasse ich den Schiessstand. Die weitere Übung folgt nach dem Mittagessen.

Wir kochen auf dem offenen Feuer unser Essen und sitzen alle schweigend essend am Boden. Jeder ist in seinen Gedanken versunken, eine spezielle Stimmung kommt auf. Ich räume die Sachen zusammen und wir bereiten die letzte Übung vor. Die Autobatterie verbinden wir mit unserem kleinen Gerät, welches die Schnur unserer Zielscheibe zurückzieht. Die Zielscheibe ist ein Metallschlitten mit einem Löwenbild darauf. Sobald wir den Kopf drücken, wird mittels der Schnur die Zielscheibe «den Löwen» zurückgezogen. Die Geschwindigkeit ist etwa 12 Meter/Sekunde, was der Wirklichkeit nicht nahekommt. Ein Löwe rennt im Schnitt 22 Meter/Sekunde. Wir dürfen auf ein Tier jedoch erst innerhalb von 10 Metern schiessen. Die Rechnung dürft ihr nun selber machen, wieviel Zeit mir da noch zum Zielen bleibt. Daher ist es enorm wichtig, dass die Abläufe sitzen und ich auch in den Theoriestunden lerne, wie ich ein Tierverhalten lesen kann und dieses dann auch in der Praxis anwenden kann.

Ich bin an zweitletzter Reihe dran und ich merke, wie Zweifel in mir aufkommen. Fast bin ich schon so weit, dass ich die Übung auf das nächste Mal verschieben will. Ich reisse mich jedoch zusammen und trete hinter dem Auto hervor. Ich muss in meiner ganzen Ausrüstung, also mit Rucksack, Hut und Fernglas um den Hals die Prüfung absolvieren. Ziel ist es ein möglichst praxisnahes, echtes Erlebnis zu haben. Ich merke, wie der Schweiss mir den Rücken runterläuft, mein Blick wandert in die Ferne, ich schaue den Löwen an und fokussiere die Schussstelle.

Nachdem ich die Munition und das Gewehr geprüft habe, gebe ich das Okay und Julien drückt den Knopf. Der Löwe saust auf mich zu, ich rufe zu meinen «Gästen»: «Stand still, stay behind me.» Gleichzeitig gehe ich auf das rechte Knie und lade das Gewehr. Ich schreie den Löwen an «stoppp» und warte bis er innerhalb der 10 Metern ist, diese muss ich etwa abschätzen. Der Löwe ist etwa zwei Meter von mir entfernt, als ich erst den Abzug drücke. Den Rückprall des Schusses merke ich dieses Mal nicht. Der Löwen-Schlitten fährt mich fast an. Ich stehe auf, lade mein Gewehr nach und schiesse nochmals. Nun drehe ich mich kurz zu den Gästen um, lade mein Gewehr erneut und sage. «Stay behind me and follow me, while I go and check if this lion is dead.” Ich gehe seitwärts zum Löwen und drücke mein Gewehrende in das Auge des «Löwen», um zu sehen, ob der Löwe auch wirklich tot ist. Ich gehe etwas zurück und sage: «This lion is dead. I am sorry, I had to kill this lion for our own safety. This walk is over now, we will go back to camp and let the appropriate authority know.” Während dem Gesagten, entlade ich das Gewehr und sichere es. Die Prüfung ist erst bestanden, wenn alle Abläufe korrekt waren, keine Safety Errors aufkamen und natürlich der Löwe innerhalb der markierten Stelle am Kopf erschossen wurde.

Ich atme schwer und bin noch nicht wirklich anwesend, als Julien den Hut vom Kopf nimmt und mir die Hand ausstreckt. Ungläubig stammle ich: «No, no, no.» Er jedoch strahlt und sagt: «Congratulation.» Ich kann es nicht fassen und laufe zur Zielscheibe, wo ich mich vergewissere. Meine Studentenkollegen umarmen mich und freuen sich riesig mit mir. Ich kann es immer noch nicht glauben.

Foto: Miss Guided Safaris, Maika Kretschmer

Als ich an diesem Abend im Bett liege, dem Busch lausche und nochmals über den heutigen Tag nachdenke, muss ich loslachen. Was für ein Tag, was für ein Leben – mein Leben! Ich habe immer noch Momente, in denen ich selber nicht glaube, was sich in meinem Leben alles zu spielt und was ich nun wirklich alles mache. Wer hätte gedacht, dass ich jemals eine Schiessprüfung im afrikanischen Busch machen würde. Ich drehe mich noch einmal im Bett, schliesse meine Augen und fast wäre ich schon eingeschlafen, als ich doch wirklich von weitem einen Löwen brüllen höre.

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