Schaukelnd, wankend, mit einem gleichmässigen Summen und Brummen, dröhnen und manchmal einem Stöhnen komme ich voran. Mein Kopf knickt nach vorne, erschrocken spanne ich meine Muskeln wieder an und finde Ruhe an der Kopfstütze. Ich träume vor mich hin und höre ein leises Schnaufen, nein gar ein Schnarchen, jaaa vielleicht sogar ein Grunzen (Pause) - nein, nein doch ein Schnarchen. Hmmm, wer schnarcht denn da…. Und dann noch in meinem Atemtackt. Langsam kontrolliere ich den Atem, schnaufe ein und wieder aus und bemerke, dass das Schnarchgeräusch mich verfolgt – ja nicht nachlässt, nicht weggeht, sondern mit mir mitbraust. Grübelnd wird mir klar, das bin ich. Beschämt versuche ich leiser zu atmen und hoffe, dass es niemand gehört hat. Die Augen öffne ich natürlich jetzt nicht, einfach so tun als würde man noch schlafen – atmen und weiterschlafen, atmen und weiterschlafen, dann bemerkt es niemand. Nach einigen Sekunden entschliesse ich dann doch – genug gesabbert und ich richte mich gerade auf. Naja, sitzen kann man das ja nicht nennen. Ich weiss nicht wer diese Sitze im angeblichen «Sitz-Test» durchgewunken hat. Kein Wunder schnarche ich so, es fühlt sich auch an, als ob ich den Autositz zu weit nach vorne gestellt hätte, dass mein Oberkörper jetzt unnatürlich nach vorne lehnt und so meine Atemwege abschneidet. Wie auch immer ich dehne meine Halsmuskulatur und bewege ein wenig meine Füsse. Mehr ist bei meiner 1m80 Körpergrösse auf diesem engen Raum auch nicht möglich. Ich brächte mindestens einen Platz mehr, vielleicht auch zwei, oder doch lieber drei. Naja, aber immerhin, die beiden Körperenden kann ich bewegen – so zirkuliert sicherlich das Blut genügend lange, bis ich an meinem Ziel ankomme. Ich öffne die Augen und blicke meinem Gegenüber, einer jüngeren Dame in die Augen. Ich schaue nach links und mustere einen Mann, Mitte 40, zeitungslesend. Die vierte Person, in unserem illustren Grüppchen, eine Frau um die 50, sitzt mir diagonal gegenüber und schaut angestrengt in ihr Handy. Die einzigen Situationen, in denen einem Personen so nahe gegenübersitzen und einen Anstarren können, ist im Zug oder auf einer Bahn im Europa Park. Eine andere Gemeinsamkeit ist sicherlich auch die Anzahl, wie viele Menschen sich schon in beiden «Zügen» übergeben haben… aber naja anderes Thema.
Ich sitze also da und versuche nicht automatisch mein Handy herauszuholen. Für mein Buch bin ich zu müde und geschlafen habe ich ja jetzt schon. Ich sitze so da und schaue mich im Zug um. Wenn ich die Menschen zu lange anschaue, blicken sie auf und schauen mich verwirrt oder gar aggressiv an. Ich versuche zu lächeln, bin aber selber etwas verunsichert. So wirkt es noch mehr, als hätten sie mich bei einer unsittlichen Tat erwischt. Ich beschränke mich also auf meinen Wirkungskreis um mich herum, wie ich auch im Leben meinen Fokus auf das nahe Umfeld lege, indem ich etwas ändern kann. Wie viel Gemeinsamkeiten mit meinem Leben sich in diesem Zugabteil wiederspiegelt. Die weiteren Ziele können befremdlich wirken, doch aber auch spannend. Der aktuelle Sitzplatz bald mal zu eng, sodass ich mich bewegen möchte.
Ich senke meinen Kopf etwas und versuche verstohlen von unten mein Gegenüber zu beäugen. Jedes Mal, wenn sie mich anschaut, senke ich den Blick. Heben der Augenlieder, senken, heben, senken, heben, senken – ach, jetzt wird mir das Spiel zu dumm. Ich starre sie direkt an. Sie starrt zurück. Ich starre, sie starrt. Der Sekundenzeiger meiner Swatch-Uhr tickt laut. Ich schaue weg – aus dem Fenster, versuche ihrem Blick auszuweichen. Sie schüttelt den Kopf und steht auf. Gott sei Dank ihre Station. Manchmal lösen sich Probleme eben auch von selber.
Nun, was mache ich als nächstes. Ich entscheide mich doch, dem Drang nach meinem Handy nachzugeben und beginne auf YouTube Witze von Comedians zu schauen. Ich merke wie ich laut lachen müsste, versuche krampfhaft das Lachen zu unterdrücken, den Atem anzuhalten, die Luft verlässt stossweise meinen Körper und meine Augen füllen sich mit Tränen. Die Frau diagonal von mir, schaut von ihrem Handy auf und beobachtet mich. Ich kann es nicht mehr halten und pruste los. Dieses Szenario geht noch ein paar Mal so weiter, bis die Frau genervt aufsteht und von Dannen zieht.
Ich strecke meine geschwollenen Beine aus und mache es mir auf dem Sitz etwas gemütlicher. Mein Handy klingelt: «Tschau Bäse», nehme ich den Anruf lässig entgegen. Vom anfänglichen Small Talk geht das Gespräch in ein ziemlich intimes Thema über. «Usfluss, ja voll nervig, kenn ich. Ich han au gad mini Periode. Mhhh, hmmh, ahh… guet nach am Sächsi bi dir.» Mein männlicher Sitznachbar beginnt sich unangenehm von einer Seite zur anderen zu verlagern. Mein Gespräch geht weiter: «Ja säg nüt, wenn de OB nöd richtig sitzt und de Seich näbet uselauft.» Mein Sitznachbar steht auf und verlässt mich mit den Worten: «Nei, das bruch ich echt nöd amene Mäntig.»
Ich schaue ihm mitleidig nach und verstaue mein Handy wieder in meiner Tasche. Ich schmunzle heimtückisch, recke meine Glieder und nehme einen, zwei, nein doch drei Sitze ein und mache es mir in meinem Abteil so richtig gemütlich… Wer braucht da ein überteuertes Erstklasseticket mit mehr Platz, wenn man alle Mitstreiter Zug um Zug aushebelt und so, naja, wenn auch doch auf Umwegen, zum Ziel kommt…