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Portrait im Zürcher Oberländer: Die "perfekte Schweizerin", die ausgebrochen ist

Wald Isabelle Tschugmall wollte immer ein kleinbürgerliches Leben führen.

308 Seiten und ein grosser Wille führen sie aber fort vom sicheren Finanzjob in den afrikanischen Busch.

Fabia Bernet

In Maun leben ungefähr 50'000 Menschen. Wäre Maun eine Stadt im Kanton Zürich, würde sie sich gemessen an der Anzahl Einwohner auf Platz drei einreihen. Gleich hinter Winterthur, noch vor Uster. Doch Maun liegt im nördlichen Botswana. Und dort ist es keine Stadt, zumindest nicht offiziell. Es ist eher eine Ansammlung vieler kleiner Dörfchen, die eine grosse Einheit bilden. Wäre es eine Stadt, dürften dort keine Kühe mehr frei durch die Strassen wandeln.

Maun ist mittlerweile auch von Isabelle Tschugmall. Von Botswana wusste sie noch vor wenigen Jahren nichts, geschweige denn von Maun. Sie wusste nicht, dass es dort nur eine Teerstrasse gibt, die einmal die ganze Stadt umrundet. Und auch nicht, dass sich Blechhütten an Lehmhütten reihen. Jetzt ist es ihr Zuhause und sie weiss, dass zwei-, dreimalLebensmittel in die Läden geliefert werden. Und, dass sie es nicht lange in Maun selbst aushält. Sie weiss, dass es sie immer wieder in den Busch zieht.

Auslandssemester in China

Isabelle Tschugmall ist 31 Jahre alt, im Zürcher Oberland, unter anderem in Laupen, aufgewachsen. Bevor sich für sie alles änderte, arbeitete sie im Finanzbereich, hatte eine eigene Wohnung. Das Bild der «perfekten Schweizerin» war es, das sie angestrebt hatte. Dieser Traum begann zu bröckeln, als sie für ein halbes Jahr nach Peking reiste für ein Auslandsemsester. Als die Heimreise anstand, hatte sie kein Geld mehr, die Beziehung ging in die Brüche, den Job hatte sie zuvor auch gekündigt.

Eine schicksalhafte Wendung nahm ihr Leben damals aber noch nicht. Sie fing sich, arbeitete wieder. Erst als sie Monate später in Berlin einige ihrer ehemaligen Kommilitonen aus China traf, begann sich ihr Leben nachhaltig zu ändern. Am Flughafen Tegel kaufte sie ein Buch. "Frühstück mit Elefanten", geschrieben von Gesa Neitzel. Es ist die Geschichte der Autorin, die alles hinschmiss, nach Afrika ging und sich zur Rangerin ausbilden liess.

Kein Strom, kein Wasser

308 Seiten legten den Grundstein für Tschugmall’s neues Leben. Sie wollte das auch. Sie wollte ausbrechen. Sie schrieb der Autorin eine Mail, diese empfahl ihr ein Camp in Botswana, in der Nähe von Maun. Isabelle Tschugmall reiste los, im Kopf hielt sie sich am Gedanken an einen Touristenort fest. Dann landete sie, fuhr zum Camp. Kein Strom, kein Wasser. Sie war auf sich alleine gestellt.

Sie, die schon als Kind nie gerne im Dreck gespielt hat, befand sich plötzlich auf Safari und übte sich mit anderen Guide-Aspiranten im Spurenlesen. Die anderen, allesamt Männer, hatten das bereits auf Safari oder im Militär gelernt, sie sah zum ersten Mal eine Giraffe in freier Wildbahn.

Job gekündigt

Doch irgendwie klappte es, irgendwie packte sie es. Und Isabelle Tschugmall spürt, dass sie Botswana so schnell nicht wieder vergessen können würde. «Das kann ich ja nicht bringen», dachte sie sich. «Die Leute zu Hause werden sich denken, dass das so ein klischiertes Selbstfindungsding ist.»

Sie zweifelte. Reichen zweieinhalb Wochen an einem fremden Ort, um so etwas Fundamentales auszulösen? Zurück in der Schweiz setzte sie sich hin und wog die Vor- und Nachteile ab. Sie kündete ihren Job, die Vorteile überwogen. Sie kündete ihre Wohnung, reiste nochmals nach Maun für die Schiessprüfung. Schweiz, Botswana, Schweiz, Botswana. Irgendwann blieb sie länger.

«Keine Frage von Kraft»

Gemeinsam mit einer belgischen Freundin gründete sie eine Firma, die Safaris in Südafrika und Botswana anbietet. Es scheint das richtige für sie zu sein. Isabelle Tschugmall spricht überzeugt von dem, was sie tut. Sie wirkt taff, willensstark. Diese Eigenschaften, dieses Auftreten braucht sie. Immer wieder müsse sie versichern, dass auch sie als Frau fähig dazu sei, ihre Gäste im Busch zu beschützen. «Das ist keine Frage von Kraft. Auch ein Mann kämpft nicht gegen einen Elefanten.» Es sei eine Frage der Empathie und mentaler Stärke. Mit ihrer Hilfsorganisation vor Ort möchte Isabelle Tschugmall auch gerne mehr Frauen befähigen sich in den Safari Guide Beruf heranzugetrauen und so eine noch männliche Berufswelt anzugehen.

Die Schweiz Afrikas

Die «NZZ» bezeichnete Botswana einst als Schweiz Afrikas. Tschugmall bestätigt das. «Es gibt eine Demokratie, ich fühle mich sicher – auch als Frau. Die Währung ist stabil und die Wirtschaft ebenso.» Nichtsdestotrotz sei es Afrika. Da müsse man realistisch bleiben. «Es ist ein Vorzeigestaat, klar. Es ist aber nicht eins zu eins vergleichbar mit der Schweiz.»

Aus der Schweiz kommen auch bislang sämtliche Gäste. «Etwa einen Drittel davon kenne ich persönlich», sagt Tschugmall. Jede der Reisen in den Busch bespricht sie individuell mit den Gästen. Sie will so herausfinden, wie viel Abenteuer es sein darf, wovor die Leute Angst haben, wo ihre Grenzen liegen. «Ich wurde gerne jedes Mal wildcampen. Das ist das ultimative Gefühl von Verletzlichkeit.»

Echtheit verloren

Es seien keine Luxusreisen, die sie am liebsten anbieten wolle. Sie verlangten vieles von den Reisenden ab und gibt aber auch vieles zurück. Manchmal fehle Handyempfang, mal Strom. Man sei wirklich in der tiefen Wildnis. «Am Schluss sitzt man dann aber am Lagerfeuer und reflektiert, wie viel man erlebt hat, ohne die Annehmlichkeiten, an die man sich so gewöhnt hat. Wir haben manchmal ein Stück von unseren Urinstinkten und vielleicht der Echtheit verloren.»

Trotz dieser Erkenntnisse will Isabelle Tschugmall jeweils nicht mit dem Fingerzeig in die Schweiz zurückkommen. «Das ist nicht meine Art. Ich will nicht missionieren und sagen, dass man wenig braucht, um wirklich glücklich zu sein», sagt sie. Sie sei noch immer Teil dieser Gesellschaft und falle selbst schnell in alte Muster zurück, wenn sie wieder einmal zu Besuch ist.

Ganz loslassen kann sie die Schweiz nicht. Alle paar Monate ruft die Heimat. Dann hält sie Vorträge, übernimmt kleinere Marketingjobs oder arbeitet gar im Service. Auch jetzt ist sie wieder zu Hause in Laupen – coronabedingt momentan auf unbestimmte Zeit. Die Ungewissheit, wann sie wieder zurück kann, macht ihr nichts.

Fixkosten habe sie in Botswana praktisch keine und ändern könne sie ja sowieso nichts. Und da ist sie, die Gelassenheit, die sie sich in Afrika angeeignet hat. Die Zeit in der Schweiz nutzt sie für das Schreiben von Konzepten für ihr Unternehmen. Nebenbei übernimmt sie kleinere Aufträge und plant Safaris, die sie in der Schweiz durchführen will.

Hier auch Geld zu verdienen, ist ihr wichtig. «Zeit habe ich ja jetzt gerade, und Geld aus der Kasse der Firma nehmen will ich nicht.» Und da ist auch sie, die Rationalität, mit der sie in der Schweiz aufgewachsen ist.

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