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Wenn Grenzen neue Wege aufzeigen

Ich erwache an diesem Morgen mit einem anderen Gefühl als sonst – ich habe Mühe aus dem Bett zu kommen und höre den Wake-up call meines Kollegen vor dem Zelt fast nicht. Meine angeschlagene Schulter und meine schlechten Schiessresultate vom Vortag tragen leider zu meiner griesgrämigen Stimmung nichts Positives bei. Heute fahren wir mit dem Car in die Stadt, um Einkäufe zu tätigen. Zudem holen wir drei Frauen von einem britischen Touroperator am Flughafen in Maun ab.

Ich setzte mich nach dem Frühstück ins Auto und merke gleich beim Losfahren, dass diese Autofahrt schmerzhaft für mich wird. Die Schläge von der unebenen Strasse zeigen ihre Wirkung auf meine lädierte Schulter und lassen mich jedes Mal zusammenzucken. Ich versuche meinen linken Arm an meinen Oberkörper zu pressen, um etwas Stabilität zu schaffen. In etwa der Hälfte der Fahrt gebe ich auf und bitte darum, dass ich beim Beifahrersitz platz nehmen kann. Dieser Sitz ist einiges komfortabler und so kann ich den Rest der Fahrt und vor allem den Busch wieder etwas mehr geniessen.

Momentan fühlt es sich an, als ob ich jeweils auf der Hälfte des Weges aufgeben muss und mit diesem Gedanken tue ich mich schwer. Mein Trainer Jami bemerkt meine Stimmungsveränderung und sagt zu mir: «Es zu akzeptieren und einen anderen Weg zu nehmen als gedacht, heisst nicht, gescheitert zu sein.» Ich schmunzle und blicke nach vorne, den Fahrtwind im Haar und antworte: «Ja, nun bin ich auch noch genervt, dass ich mir eigentlich geschworen habe, dass ich nichts mehr erzwinge, nur weil ich es so angedacht habe. Ich will dem Leben seinen Freiraum geben. Doch irgendwie fühlt es sich auch so an, als ob ich nicht durchbeisse, wenn es schwierig wird.» In diesem Moment kommt mir meine Mitbewohnerin zu Hause in der Schweiz in den Sinn: Selbstliebe oder Empathie für sich selber ist die Königsklasse. So versöhne ich mich an diesem Tag mit mir selber und versuche nicht zu hart zu mir zu sein. Ich akzeptiere meine Grenzen und baue auf dem auf, was ich habe. Ich versuche mir ausserhalb meiner Komfortzone zu begegnen, allerdings muss ich auch lernen, was sich richtig anfühlt und was nicht.

Am Nachmittag führe ich mit einem Mitstudenten ein Gespräch darüber und er fügt hinzu: «Ich habe beispielsweise auch erst hier im Camp bemerkt, dass ich keine Schiessprüfung abschliessen werde, da ich moralisch damit wirklich ganz und gar nicht umgehen kann.» Ich nicke in Gedanken und erwidere: «Ich habe zuhause lange darüber nachgedacht, ob ich eine Waffe tragen will und kann und, ob ich diese Verantwortung übernehmen will. An gewissen Abenden hat es mich fast zerrissen, da beim Durchgehen des Manuals die Frage immer wieder gestellt wird, ob wir nun auch nach dem theoretischen Wissen, wie man welches Tier tötet, auch noch den Kurs mache wollen. Vor allem mit der Erkenntnis dieses Wissen eventuell auch anwenden zu müssen. Ich wurde mir der Verantwortung über Leben und Tod und dass ich allenfalls ein Leben beenden muss, mehr als bewusst. Ich möchte im Busch laufen und all die kleinen Details und Zusammenhänge entdecken und den Kunden zeigen. Ich will diese Erfahrungen teilen und Augen öffnen, alle Sinne wieder zu benützen und sich wirklich verletzlich zu fühlen. Ich werde nur Risiken eingehen, welche ich abschätzen kann und nicht leichtsinnig im Busch laufen, nur weil ich eine Waffe trage. Ich will diese Waffe nicht benützen müssen. Wenn es aber sein muss und das Tier den Angriff vornimmt, dann werde ich reagieren müssen. Ich traf die Entscheidung, dass ich dann so handeln werde und muss. Ich treffe diese Entscheidung mit Verantwortung und so werde ich sie auch tragen.» Wir sitzen still da und beobachten das trockene Flussbett vor uns. Dieser Kurs ist intensiver als mein letzter, ich komme hier mehr an meine Grenzen und das Bewusstsein über Verantwortung ist geschärft. Das Thema «Leadership» wird immer wieder angesprochen und ich bekomme einen ganz anderen Zugang dazu, doch für dieses Thema benötige ich mehr als nur diese Zeilen.

Ich gehe an diesem Abend mit einem versöhnenden Gefühl ins Bett. Ich anerkenne meine Grenzen und bin dankbar dafür. Um verantwortungsbewusst handeln zu können, muss ich mir über mich sowie meine Stärken und Schwachen mehr als im Klaren sein. Unsere Grenzen sind gleichzeitig auf die Richtlinien und auch das Sprungbrett für einen neuen Weg in unserem Leben.

--- Jetzt Live-Vortrag am 08.02.19 um 20:00 Uhr / weitere Infos hier ---

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